Auf die Haltung kommt es an!
Zahlreiche Studien belegen: Die Einstellung und das Verhalten von Lehrkräften haben einen entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler. Doch was genau macht eine förderliche Haltung aus? Und wie wirkt sie sich konkret auf das Lernen aus? Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der Einfluss der Lehrperson auf den Lernerfolg größer ist als der von Faktoren wie Klassengröße, Schulform oder Ausstattung. Entscheidend sind dabei weniger fachliche Kompetenzen als vielmehr die grundlegende Haltung und das daraus resultierende Verhalten im Unterricht. Wir haben den Schulleiter und Buchautor Carsten Bangert gefragt, wie Haltung und Lernerfolg zusammenhängen und um Tipps und Impulse für Lehrende gebeten.

Carsten Bangert
Drei Fragen an Carsten Bangert
Warum Lernerfolg auch von der Haltung der Lehrperson abhängt
Carsten Bangert, Schulleiter einer Verbundschule in Baden-WĂĽrttemberg, ist ĂĽberzeugt, dass die Entwicklung einer positiven Haltung und die Anwendung bewährter Unterrichtsprinzipien entscheidend sind fĂĽr den Erfolg im Bildungsbereich. In seinem Buch »Was gute Lehrerinnen und Lehrer ausmacht« hat er die Merkmale wirksamer Lehrkräfte und ihren Einfluss auf den Lernerfolg von SchĂĽlerinnen und SchĂĽler zusammengefasst.Â
Herr Bangert, was war für Sie der Auslöser, sich so intensiv mit dem Thema Haltung und Lernerfolg auseinanderzusetzen?
Als junger Lehrer stand ich vor meiner ersten Abschlussklasse in Mathematik. Voller Eifer und doch mit einer gehörigen Portion Unsicherheit bereitete ich meine SchĂĽlerinnen und SchĂĽler auf die RealschulabschlussprĂĽfung vor. Nach den PrĂĽfungen kam ich ins Gespräch mit einem Kollegen, Manfred Kugele. Was er mir erzählte, lieĂź mich staunen: Seine Klasse hatte einen Notendurchschnitt von 1,88 in der landesweiten MathematikprĂĽfung erreicht! Diese Begegnung lieĂź mich nicht mehr los. Wie war es möglich, dass ein Lehrer so herausragende Ergebnisse erzielen konnte? Was machte Manfred Kugele anders? Ich begann, mich intensiv mit ihm auszutauschen, sein Denken und Handeln zu studieren. Noch faszinierender war, dass sein Kollege und späterer Rektor, Christoph Hagel, von Kugele lernte und dessen Prinzipien erfolgreich umsetzte. Als »Zauberlehrling« erzielte Hagel in manchen Jahren sogar noch bessere Resultate.Â
Lassen sich die Zusammenhänge zwischen Haltung und Lernerfolg auf alle Schulen übertragen, zum Beispiel auch auf Schulen in sozialen Brennpunkten?
Ja, Jahre später stieĂź ich auf eine beeindruckende Geschichte aus Schweden. In einer »Doku-Soap« namens »Klass 9A« wurde ein faszinierendes Experiment dokumentiert: Einige herausragende Lehrkräfte ĂĽbernahmen die Verantwortung fĂĽr eine äuĂźerst schwache und schwierige 9. Klasse einer Brennpunktschule. Unter ihnen war Stavros Louca, ein auĂźergewöhnlicher Pädagoge. Als ich Aufnahmen von Loucas Unterricht sah, war ich fasziniert von der Atmosphäre in seinem Klassenzimmer. Die SchĂĽlerinnen und SchĂĽler, die sich zuvor fast aufgegeben hatten, waren hochkonzentriert, motiviert und lernten mit Begeisterung. Louca und sein Team schafften es, selbst die schwierigsten SchĂĽler zu erreichen und fĂĽr den Unterricht zu gewinnen. Das Ergebnis war beeindruckend: In relativ kurzer Zeit wurde diese Problemklasse zu einer der erfolgreichsten des Landes.Â
Man kann sagen, diese Begegnungen waren SchlĂĽsselmomente fĂĽr Sie?
Diese Begegnungen und Geschichten von herausragenden Lehrkräften haben mich tief beeindruckt und meine berufliche Laufbahn nachhaltig geprägt. Sie zeigten mir, dass einzelne Lehrerinnen und Lehrer einen enormen Unterschied machen können – für den Lernerfolg, aber auch für die persönliche Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler. Was zeichnet diese außergewöhnlichen Pädagogen aus? Welche Haltung, welche Überzeugungen und welche konkreten Verhaltensweisen machen sie so erfolgreich? Und vor allem: Was können wir von ihnen lernen, um unseren eigenen Unterricht wirksamer zu gestalten und dabei zufriedener und gesünder im Beruf zu sein?
Warum Haltung und Lernerfolg zusammenhängen
Doppeldreieck der UnterrichtswirksamkeitÂ
Um die komplexen Zusammenhänge zwischen Lehrerhaltung, Unterrichtsverhalten und SchĂĽlerbedĂĽrfnissen anschaulich darzustellen, wurde das »Doppeldreieck der Unterrichtswirksamkeit« entwickelt. Dieses Modell veranschaulicht, wie die GrundbedĂĽrfnisse der Lernenden, die GrundĂĽberzeugungen der Lehrkräfte und deren Unterrichtsprinzipien ineinandergreifen:Â
- Erstes Dreieck: repräsentiert die Grundbedürfnisse der Lernenden (Beziehung, Kompetenz, Autonomie).
- Zweites Dreieck: stellt die Grundüberzeugungen wirksamer Lehrkräfte dar (Verantwortung, Anspruch, Respekt, Zutrauen, Wachstum, Kooperation).
- Verbindung beider Dreiecke: symbolisiert, wie die Haltung der Lehrkraft die BedĂĽrfnisse der SchĂĽlerinnen und SchĂĽler adressiert und zu wirksamem Unterrichtsverhalten fĂĽhrt.
GrundbedĂĽrfnisse von Lernenden, die Sie kennen solltenÂ
Um wirksam unterrichten zu können, ist es essentiell, die GrundbedĂĽrfnisse der Lernenden zu verstehen und zu berĂĽcksichtigen. Diese lassen sich in fĂĽnf Hauptkategorien einteilen:Â
- Beziehung und Bindung: Schülerinnen und Schüler haben das Bedürfnis nach positiven, unterstützenden Beziehungen zu ihren Lehrkräften und Mitschülern.
- Emotionale Zugehörigkeit: Lernende möchten sich als Teil der Lerngemeinschaft fĂĽhlen und wertgeschätzt werden.Â
- Kompetenzerleben: SchĂĽlerinnen und SchĂĽler streben danach, sich als kompetent und erfolgreich zu erleben.Â
- Autonomie und Struktur: Lernende wĂĽnschen sich ein gewisses MaĂź an Selbstbestimmung und Kontrolle ĂĽber ihren Lernprozess, benötigen aber gleichzeitig klare Strukturen und Orientierung.Â
- Anerkennung: Das Bedürfnis nach Wertschätzung und Bestätigung ist fundamental für die Motivation und das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler.
Haltung – die GrundĂĽberzeugungen guter LehrkräfteÂ
Eine förderliche Haltung zeichnet sich durch folgende Aspekte aus:Â
Verantwortung
Erfolgreiche Lehrkräfte ĂĽbernehmen volle Verantwortung fĂĽr den Lernerfolg ihrer SchĂĽlerinnen und SchĂĽler. Sie sehen sich als Hauptakteure im Lernprozess und suchen bei Problemen zuerst nach Lösungen bei sich selbst. Diese Haltung äuĂźert sich in:Â
- Proaktivem Handeln statt reaktivem Beklagen von Umständen
- Kritischer Selbstreflexion des eigenen Unterrichts
- Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten
- Förderung der Eigenverantwortung bei Lernenden
Anspruch
Wirksame Lehrkräfte haben hohe, aber realistische Erwartungen – sowohl an sich selbst als auch an ihre SchĂĽlerinnen und SchĂĽler. Dieser Anspruch zeigt sich durch:Â
- Streben nach qualitativ hochwertigem Unterricht
- Bereitschaft, zusätzliche Zeit und Energie in die Vorbereitung zu investieren
- Förderung einer Kultur der Exzellenz im Klassenzimmer
- Ermutigung der Lernenden, ĂĽber sich hinauszuwachsen
Respekt
Eine respektvolle Haltung gegenĂĽber Lernenden ist grundlegend fĂĽr eine positive Lernumgebung. Sie beinhaltet:Â
- Wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe
- Anerkennung der Individualität jedes Lernenden
- Schaffung einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts
- Konstruktiver Umgang mit Fehlern und Schwächen
Zutrauen
Gute Lehrkräfte glauben fest an das Potenzial ihrer SchĂĽlerinnen und SchĂĽler. Dieses Zutrauen manifestiert sich in:Â
- Positiven Erwartungen an die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen
- Ermutigenden Rückmeldungen und Bestärkung
- Herausfordernden Aufgaben, die Wachstum ermöglichen
- Vermittlung eines positiven Selbstbildes bei den Lernenden
Wachstum
Die Ăśberzeugung, dass Lernen ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess ist, prägt die Haltung erfolgreicher Lehrkräfte. Sie zeigt sich durch:Â
- Förderung eines »Growth Mindset« bei Schülerinnen und Schülern
- Betrachtung von Fehlern als Lernchancen
- Fokus auf individuelle Fortschritte statt Vergleiche
- Eigene Offenheit fĂĽr lebenslanges Lernen und neue Methoden
Kooperation
Erfolgreiche Lehrkräfte sehen sich als Teil eines größeren Teams. Diese kooperative Haltung äuĂźert sich in:Â
- Regelmäßigem Austausch mit dem Team
- Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Eltern und externen Partnern
- Förderung kooperativer Lernformen im Unterricht
- Aktive Beteiligung an der Schulentwicklung
Verhalten – die Unterrichtsprinzipien wirksamer LehrkräfteÂ
Aus einer förderlichen Haltung ergeben sich bestimmte Verhaltensweisen, die den Lernerfolg positiv beeinflussen:
- Klarheit in der Strukturierung und Vermittlung von Inhalten
- Leidenschaft und Begeisterung fĂĽr das Fach und den Lehrberuf
- Sichere Klassenführung durch Rollenklarheit und unmissverständliche Regeln
- Kognitive Aktivierung durch anregende Aufgaben und Fragen
- Individuelle UnterstĂĽtzung und ermutigende RĂĽckmeldungen
- Ergebnisorientierung und Fokussierung auf Lernziele und Kompetenzerwerb
Praxistipps und Reflexionsaufgaben
Die Entwicklung einer förderlichen Haltung und wirksamer Unterrichtsprinzipien ist ein kontinuierlicher Prozess, der Reflexion, Ăśbung und kollegialen Austausch erfordert. Hier einige ausfĂĽhrliche Praxistipps zur persönlichen Weiterentwicklung:Â
SelbstreflexionÂ
Regelmäßige Selbstreflexion ist der SchlĂĽssel zur persönlichen Weiterentwicklung. FĂĽhren Sie ein Lerntagebuch, in dem Sie Ihre Unterrichtserfahrungen, Erfolge und Herausforderungen dokumentieren. Stellen Sie sich dabei Fragen wie:Â
- Was ist heute besonders gut gelaufen?
- Wo gab es Schwierigkeiten und warum?
- Wie habe ich auf bestimmte Situationen reagiert?
- Welche meiner GrundĂĽberzeugungen haben mein Handeln beeinflusst?
- Was möchte ich beim nächsten Mal anders machen?
Kollegiale Hospitation und FeedbackÂ
Laden Sie Kolleginnen und Kollegen in Ihren Unterricht ein und besuchen Sie im Gegenzug deren Stunden. Tauschen Sie sich anschlieĂźend aus und geben Sie sich gegenseitig konstruktives Feedback. Nutzen Sie dabei strukturierte Beobachtungsbögen, die sich an den Aspekten des »Doppeldreiecks der Unterrichtswirksamkeit« orientieren.Â
Videoanalyse des eigenen Unterrichts
Filmen Sie gelegentlich Ihren Unterricht und analysieren Sie die Aufnahmen. Achten Sie dabei besonders auf Ihre Körpersprache, Ihre Interaktion mit den SchĂĽlerinnen und SchĂĽlern und die Umsetzung Ihrer Unterrichtsprinzipien. Oft entdeckt man in der Aufzeichnung Dinge, die man in der Situation selbst nicht wahrnimmt.Â
Fortbildungen und Workshops
Nehmen Sie regelmäßig an Fortbildungen teil, die sich mit Themen wie Classroom Management, Lerncoaching oder aktuellen pädagogischen Ansätzen beschäftigen. Versuchen Sie, das Gelernte direkt in Ihrem Unterricht umzusetzen und reflektieren Sie die Ergebnisse.Â
Professionelle LerngemeinschaftenÂ
SchlieĂźen Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen zu einer professionellen Lerngemeinschaft zusammen. Treffen Sie sich regelmäßig, um ĂĽber pädagogische Themen zu diskutieren, Unterrichtsmaterialien auszutauschen und gemeinsam an der Verbesserung Ihres Unterrichts zu arbeiten.Â
Der »kritische Freund« oder »Spiegel«Â
Suchen Sie sich einen »kritischen Freund« – eine vertrauensvolle Person, die Ihnen ehrliches und konstruktives Feedback geben kann. Dies kann jemand aus dem Team, ein Mentor oder eine erfahrene Lehrkraft sein. FĂĽhren Sie regelmäßige Gespräche, in denen Sie Ihre Unterrichtspraxis reflektieren und gemeinsam Entwicklungsmöglichkeiten erarbeiten.Â
Arbeit mit dem »Reflexions- und Arbeitsheft«Â
Nutzen Sie das speziell zum Buch entwickelte »Reflexions- und Arbeitsheft«, das wir Ihnen hier zum kostenlosen Download anbieten. Dieses Heft bietet strukturierte Ăśbungen und Materialien, um die verschiedenen Aspekte der Lehrerhaltung zu vertiefen und in der Praxis umzusetzen. Es enthält:Â
- Selbstreflexionsbögen zu den einzelnen Haltungsaspekten
- Checklisten fĂĽr die Unterrichtsplanung und -durchfĂĽhrung
- Leitfäden für kollegiale Hospitationen
- Anregungen für Teamgespräche und Feedback-Runden
- Praxisbeispiele erfolgreicher LehrkräfteÂ
Die Arbeit mit diesem Heft ermöglicht es Ihnen, Ihre eigene Haltung systematisch zu reflektieren und schrittweise weiterzuentwickeln. Es bietet eine strukturierte Anleitung, um die theoretischen Erkenntnisse in die tägliche Unterrichtspraxis zu übertragen. Denken Sie daran: Persönliche Weiterentwicklung ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert. Seien Sie nachsichtig mit sich selbst und feiern Sie auch kleine Fortschritte. Die kontinuierliche Arbeit an Ihrer Haltung und Ihren Unterrichtsprinzipien wird sich langfristig positiv auf Ihren Unterrichtserfolg und Ihre berufliche Zufriedenheit auswirken.
Darum lohnt es sich
Die Haltung von Lehrkräften ist ein SchlĂĽsselfaktor fĂĽr erfolgreiche Lernprozesse. Sie zu reflektieren und weiterzuentwickeln, lohnt sich – fĂĽr die eigene Zufriedenheit im Beruf ebenso wie fĂĽr den Lernerfolg der SchĂĽlerinnen und SchĂĽler. Dabei gilt: Eine positive Grundhaltung ist erlernbar und kann durch bewusstes Ăśben verinnerlicht werden.Â
Wirksame Lehrkräfte sind grundsätzlich zufriedener. Zufriedene Lehrkräfte sind gesĂĽnder. GesĂĽndere Lehrkräfte sind wirksamer. Diese Wechselwirkung zwischen Wirksamkeit, Zufriedenheit und Gesundheit unterstreicht die Bedeutung einer förderlichen Lehrerhaltung nicht nur fĂĽr den Lernerfolg der Lernenden, sondern auch fĂĽr das Wohlbefinden der Lehrkräfte selbst.Â
Der Weg zu mehr Selbst-Bewusstheit, Ausgeglichenheit und Wirksamkeit als Lehrkraft ist von Höhen und Tiefen geprägt. Die Erfahrung zeigt, dass es sich dennoch lohnt, diese Reise anzutreten – fĂĽr das eigene Wohlbefinden und fĂĽr die Entwicklung der SchĂĽlerinnen und SchĂĽler. Wie immer gilt: »Gut ist gesĂĽnder als perfekt.«Â
Zum Weiterlesen
Bangert, Carsten: Was gute Lehrerinnen und Lehrer ausmacht: Und was wir von ihnen lernen können. 2. Auflage. Beltz, 2. Aufl. 2023.
Zum Buch.
Bangert, Carsten: Zur Webseite.
Dweck, Carol S.: Mindset: Wie wir mit der richtigen Einstellung wahre Veränderungen in unserem Leben bewirken können. Piper, 2017.
Hattie, John: Lernen sichtbar machen fĂĽr Lehrpersonen. Schneider Verlag Hohengehren, 2014.Â
Helmke, Andreas: Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Klett-Kallmeyer, 7. Auflage 2017.Â
Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Cornelsen, 13. Auflage 2018.Â
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