Ideen fĂĽr innovative Schulentwicklung
Viele Schulen haben sich schon auf den Weg gemacht, um Lehren und Lernen neu zu denken. Das Bildungsprojekt »Baut Eure Zukunft« begleitet Schulen und Bildungseinrichtungen mit vielfältigen Angeboten auf diesem Weg. Wir haben Uwe Birkel, Projektleiter von »Baut Eure Zukunft«, gefragt, wie eine solche Zukunftsreise aussehen kann.Â
Sieben Fragen an Uwe Birkel
Herr Birkel, mit »Baut Eure Zukunft« begleiten Sie nicht nur Schüler:innen, sondern auch Schulen auf ihrem Weg in die Zukunft. Sie haben bereits intensiv mit rund 100 Schulen zusammengearbeitet. Welche Schulen wenden sich an Sie – und mit welchen Fragen oder Anliegen?
Das sind Schulen, die eines verstanden haben: Lernen ist mehr als Wissensvermittlung. Diese Schulen fragen sich, wie Menschen Kompetenzen für das Leben und die Arbeitswelt der Zukunft erwerben können: Echte Mitbestimmung und Mitgestaltung, lebensnahe Berufsorientierung, Auseinandersetzung mit sozialen Problemen und Diskriminierung, die Bearbeitung von Kommunikationsproblemen, und das kreative Problemlösen, zum Beispiel im Themenfeld Nachhaltigkeit, sind für diese Schulen Herausforderungen, die sie mit viel Idealismus angehen möchten.
Wie sieht die Arbeit mit den Baut Eure Zukunft-Schulen aus – und welche Ideen und Visionen verfolgen Sie dabei?
In den Baut Eure Zukunft-Schulen entstehen innovative Lösungsideen fĂĽr eine schĂĽlergerechte Didaktik und ein neues Verhältnis von Pädagog:innen und SchĂĽler:innen. In projektbasierten Formaten entwickeln sie kreative Lösungen fĂĽr Herausforderungen in Schule, Gemeinde oder weltweit. Gemeinsam ĂĽberlegen wir, durch welche Innovationsmethoden, Kreativitätstechniken und Moderationsformate das Lernen freudvoller und menschlicher werden kann.Â
Im Netzwerk teilen wir eine Vision: Schüler:innen, Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen sollen gerne in Schule kommen, weil dort Lebenssinn, Lebensfreude und tolle Menschen auf sie warten. Wir begreifen Lernen als eine ganzheitliche Erfahrung, ein Wagnis. Ein Abenteuer, das auch außerhalb von Schule stattfinden kann. Fachwissen und Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen gehören selbstverständlich dazu, nur sieht ihr Erwerb heute anders aus als vor 100 Jahren.
Wie sieht eine zukunftsorientierte Schule aus, die Kinder und Jugendliche optimal auf kommende Herausforderungen vorbereitet?
Die Schule der Zukunft stellt Menschen in den Mittelpunkt – mit ihren eigenen Themen und Herausforderungen. Diese Schule fragt nicht nur: »Was weißt du?«, sondern auch: »Wer bist du? Wohin willst du? Wie gehst du mit anderen um?« Eine Baut Eure Zukunft-Schule liefert einen geschützten Raum, um Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Dieser Raum entsteht nicht zufällig – es sind Lehrkräfte und die Schüler:innen, die solche Räume schaffen und gestalten. Dabei unterstützt sie das Baut Eure Zukunft-Team.
Und wenn Sie das mit der aktuellen Realität vergleichen – wo stehen wir heute?
Wir machen erste Schritte – Politik, Verwaltung, Schulen, Eltern und SchĂĽler:innen. Alle haben Angst vor Veränderung, Angst um ihre vertraute Rolle im System, die Sicherheit, Einkommen oder Zugehörigkeit bietet, auch wenn sie oft nicht glĂĽcklich macht.Â
Viele Schulen kämpfen mit gesetzlichen Vorgaben und sozialen Problemen wie Mobbing, Armut oder fehlender Mitbestimmung. Ich behaupte, 50 Prozent der Pädagog:innen sehen keinen Sinn in Vorgaben, die nichts mit der Lebensrealität der SchĂĽler:innen zu tun haben. Viele wĂĽnschen sich eine neue Form von Unterricht, auch wenn noch unklar ist, wie sie genau aussehen wird. Aber hey, was wäre spannender, als diese neue Lernkultur gemeinsam zu entwickeln?Â
Die aktuelle Bildungskrise birgt eine große Chance: Wir haben nichts mehr zu verlieren. Ich sehe enormes Potenzial in einer neuen Form von Kooperation von Schulen, Bildungsinitiativen, Stiftungen und Politik – und das macht mir Hoffnung.
Welchen Hindernissen begegnen Schulen häufig auf ihrem Weg der Transformation?
Personalmangel, hoher Krankenstand, Kolleg:innen im »inneren Exil«, soziale Probleme, herausfordernde Lebensumstände der Schüler:innen, Zeitdruck, Arbeitsbelastung, mangelnde Zielorientierung, Unsicherheit, Druck von Eltern, Leitung, Ministerium, fehlende praxisnahe Fortbildungen – das alles prägt den Schulalltag. Und: Wir alle sind geprägt von einem veralteten Lernverständnis. Aber: Jammern hilft nicht!
Wenn Schulen sich öffnen – fĂĽr neue Lernformen, externe Impulse und gemeinsame Entwicklung – entstehen Räume, in denen SchĂĽler:innen und Lehrkräfte anders wahrgenommen werden. Dann machen wir die Erfahrung: Pädagogik, Didaktik und Menschlichkeit hängen oft nicht am Geld. Der Unterricht steht im Spannungsfeld vieler Interessen. Fragen wir doch unsere eigentlichen »Kund:innen«, die SchĂĽler:innen, was sie von unserem »Produkt« halten: Ihre Antworten sind oft ĂĽberraschend – und richtungsweisend.Â
Die Anforderungen an Lehrkräfte sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Sie sollen nicht nur unterrichten, sondern auch als Lernbegleiter:innen, Moderator:innen und Berater:innen agieren. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht – wie schwer fällt es Lehrenden, sich in diesen neuen Rollen zurechtzufinden?Â
Manche halten selbstbewusst an ihrer alten Rolle fest – verständlich. Viele sind neugierig und machen sich auf den Weg, anfangs oft verunsichert – auch das ist normal. Doch je selbstständiger SchĂĽler:innen lernen und echte Herausforderungen bearbeiten, desto mehr wandelt sich die Rolle der Lehrkraft: Weg von der Stoffvermittlung hin zur Begleitung beim Denken, Recherchieren, Diskutieren, Zweifeln und Wachsen.Â
Lehrkräfte werden zu Lernbegleiter:innen, die Impulse geben, Räume schaffen, Teams coachen und Materialien bereitstellen. Viele erleben: Diese neue Rolle entlastet, weil nicht mehr alles vorbereitet werden muss, sondern gemeinsames Lernen entsteht. Und oft wächst daraus etwas Besonderes: echte Begegnung auf Augenhöhe. Wenn SchĂĽler:innen in der Pause durcharbeiten, sich freiwillig nachmittags treffen und echte Verständnisfragen stellen, ist klar: Der neue Weg lohnt sich.Â
Welche drei Tipps wĂĽrden Sie Schulen geben, die sich auf den Weg in ihre Zukunft machen wollen? Welche ersten Schritte sind entscheidend? Worauf kommt es an?Â
Erstens: Zuhören und Beobachten. Schüler:innen wissen, wo Veränderung nötig ist. Auch viele tolle Pädagog:innen wurden mit ihren Ideen und Sorgen lange nicht gehört. Ich sehe riesige Potenziale bei Schüler:innen, Lehrkräften, Sozialarbeiter:innen und Schulleitungen in allen Bundesländern. Wenn wir coachen oder beraten, unterstützen wir oft nur minimal – die Kraft und Kreativität vor Ort gestaltet die neuen Lernorte.
Zweitens: Kommunikation und Feedback. In Zeiten der Veränderung sind Austausch, Offenheit und gegenseitige UnterstĂĽtzung zentral. Interessen und Konflikte werden sichtbar. Wertschätzung fĂĽr alle Meinungen und Initiativen im Kollegium ist dann ganz wichtig sowie das Nachfragen, wenn Menschen nicht mitziehen. Wo steckt die Blockade? Wenn du als Schulleitung diese intensive Form der Teamarbeit aller wahrnimmst und spĂĽrst, dann weiĂźt du: Ihr seid auf dem richtigen Weg.Â
Und drittens?Â
Drittens: Konkrete Ziele festlegen und sich vernetzen. Zu Beginn geht es darum, zu klären: Was wollen wir erreichen? Was wissen und können wir schon? Wo brauchen wir Unterstützung? Struktur, Offenheit und Selbstbestimmung müssen gemeinsam definiert werden. Lösungen liegen oft näher, als man denkt. Wir müssen nicht jedes Problem neu lösen, schon gar nicht in einer digitalen Gesellschaft. Schulen, die den Weg schon gehen, teilen ihr Wissen gerne. Jede Schule kann etwas anbieten auf dem Markt der Lösungsideen. Austausch wirkt inspirierend und macht Mut, selbst aktiv zu werden. Das Wissen des Bildungssystems stellt das Wissen anderer sozialer Systeme wie der Wirtschaft in vielen Bereichen in den Schatten. Wenn wir dieses Wissen nutzen, können wir uns selbst und unsere Gesellschaft sehr schnell verändern.

Uwe Birkel
Tipp »Anfangen und machen«Â
Fangen Sie klein an – mit dem, was gerade ansteht und Spaß macht: die Projektwoche, das Schulfest, ein neues Konzept für die Mittelstufe oder ein Prozess zur Themenauswahl. Oder wählen Sie ein Thema, auf das Sie und Ihre Schüler:innen wirklich Lust haben: die Gestaltung des Schulcampus, eine Schülergenossenschaft oder den perfekten Ausflug. Vielleicht aber auch ein Thema, das besonders unter den Nägeln brennt – wie Diskriminierung, Mobbing oder Gewalt in der Schule. Und was dann noch wichtig ist? Nicht zu viel fragen oder zweifeln – einfach machen: machen, machen, machen!
Aktuelle Projekte von Baut Eure ZukunftÂ
- Theodor-Heuss-Realschule, Lüdenscheid: Förderung von Gemeinschaft und Engagement
- Don-Bosco-Schule, Rostock: Lernkonzept mit Orientierung an den Lerntypen
- Mathilde-Anneke-Schule, Sprockhövel: Projekte gegen Hassrede und DiskriminierungÂ
Alles zur Fachtagung »Neu lehren und lernen«
Stellen Sie Ihre Frage!
Wir sind ĂĽberzeugtÂ
Praxisorientiertes Wissen bei schulischen und auĂźerschulischen Bildungspraktikerinnen und Bildungspraktikern zum Thema Individuelle Förderung unterstĂĽtzt dabei, dass mehr Jugendliche die Chance erhalten, ihre Potenziale zu entwickeln. Ihre persönlichen Fragen zur Talententwicklung und Talentförderung lassen wir daher von Expertinnen und Experten beantworten und stellen sie hier in regelmäßiger Folge vor.Â
Und jetzt Sie
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Hybrider Lernraum
Das Format »Call your expert« ist Teil des Hybriden Lernraums. Hier finden Sie für Ihre Arbeit in Schule oder an außerschulischen Lernorten Informationen und Praxistipps aus Wissenschaft und Praxis – als Texte, Methoden, Podcasts, Videos oder Workshops.
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