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Lernen mit komplexen Aufgaben

Begabungserkennung und Begabungsförderung sind Kern jeder Unterrichtsentwicklung, so auch im Fachunterricht. Wie müssen das fachliche Lernen und der Fachunterricht gestaltet sein, um alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen anzusprechen, ihr Können aufzunehmen und ihre Begabungs- und Kompetenzentwicklung zu befördern?

Komplexe Kompetenzaufgaben zeigen einen Weg auf, wie das individuelle, kompetenzorientierte Lernen mit spannenden, an lebensweltlichen Erfahrungen und Herausforderungen orientierten Aufgaben verknüpft werden kann – in allen Fächern. Was komplexe Aufgaben im Englischunterricht, in anderen sprachlichen Fächern und im Fachunterricht auszeichnet, das erläutert Prof. Dr. Wolfgang Hallet, em. Professor für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, im vorliegenden Beitrag. 

Abbildung von Prof. Dr. Wolfgang Hallet, em. Professor für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Prof. Dr. Wolfgang Hallet

Abbildung von Prof. Dr. Wolfgang Hallet, em. Professor für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
© privat

Prof. Dr. Wolfgang Hallet

Wolfgang Hallet ist em. Professor für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die anglophone Literatur-, Film- und Kulturdidaktik, der zeitgenössische Roman, das Lernen mit Kompetenzaufgaben, der mehrsprachige Unterricht und der Bilinguale Unterricht. Von 2013 bis 2022 war Wolfgang Hallet Vorsitzender des Beirats des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen. Zudem wirkt er als Autor, Herausgeber und Vortragender auf dem Gebiet des Sprachenlernens, des Bilingualen Unterrichts und der Begabungsförderung im Fachunterricht in der Lehrkräftebildung.

Wolfgang.Hallet@anglistik.uni-giessen.de

Was sind komplexe Aufgaben?

Zum Begriff

Die komplexe Aufgabe als Teil des aufgabenbasierten Unterrichts ist eine Form des Lernens, in deren Mittelpunkt die Persönlichkeit und die Arbeit der Lernenden stehen und nicht die Lehrperson. Die komplexe Aufgabe nimmt, wie der Name es sagt, die Komplexität realer Kommunikationssituationen auf und verlangt, dass zu ihrer Bearbeitung, zur Problemlösung und zur Zielerreichung alle verfügbaren Erfahrungen, Kenntnisse und Einstellungen aktiviert werden – individuell wie auch in kooperativen Arbeitsprozessen. Vernetztes Lernen wie kreative Problemlösung werden dabei gleichermaßen gefordert wie gefördert. 

Wirkung von komplexen Aufgaben

Seit Start der auf zehn Jahre ausgelegten Bund-Länder-Initiative »Leistung macht Schule« im Jahr 2018 wurde im Teilprojekt Englisch mit Englisch-Lehrkräfte-Teams von 18 Schulen der Frage nachgegangen, ob und in welcher Weise komplexe Aufgaben dazu dienen können, Begabungen von jungen Menschen zu erkennen, sichtbar zu machen und zu fördern. Das Projekt hat gezeigt, dass der Einsatz von komplexen Aufgaben es ermöglicht, im Fachunterricht vielfältige Potenziale anzu­sprechen, individuelle Arbeits- und Lernprozesse zu initiieren und differenzierte Leistungen hervorzurufen. Durch komplexe Aufgaben erhalten alle Schülerinnen und Schüler Anregungen, ihre Begabungen zu entdecken und zu zeigen. Auch zuvor unerkannte Fähigkeiten und Leistungen werden sichtbar, und zwar sowohl für die Lehrperson als auch für die Lernenden selbst. Dadurch verändert sich der Unterricht insgesamt, er definiert die Rolle der Lernenden und der Lehrperson neu und lässt sich auf ein anderes Niveau heben. 

Merkmale komplexer Aufgaben

Herausforderungsreichtum

Komplexe Aufgaben sind herausforderungsreich und erfordern die Aktivierung aller individuell verfügbaren Kompetenzen und Dispositionen zur erfolgreichen Aufgabenbearbeitung. Da diese individuell verschieden sind, können zahlreiche Seiten einer Persönlichkeit sichtbar werden, die in anderen, engführenden Aufgaben oder Übungen nicht angesprochen werden.

Selbständigkeit

Die Orientierung auf eine Fragestellung oder eine Problemlösung verlangt von den Lernenden ein hohes Maß an Selbständigkeit der Entscheidung über die Arbeitsschritte und die inhaltliche Füllung im Sinne einer bestmöglichen Lösung und Gestaltung des Zielproduktes.

Differenzierung

Komplexe Aufgaben wirken differenzierend. Aufgrund ihrer Offenheit und Zielorientierung eröffnen sie einen Arbeits- und Gestaltungsraum, der individuell verschieden genutzt werden kann. Einzelne Aspekte der Bearbeitung und des Aufgabenprodukts können in verschiedenen Graden der Ausdifferenzierung, Präzision, Komplexität, Strukturierung, aber auch der Sorgfalt und des Wissensreichtums oder der Wissenstiefe ausgestaltet sein. Auch Arbeitstempo und Zeit gehören dazu.

Individualisierung

Differenzierung kann auf diese Weise auch Individualisierung bedeuten. Mit einer Aufgabe und der Arbeit am gemeinsamen Gegenstand kann die gesamte Bandbreite an Fähigkeiten, Begabungen und Kenntnissen in einer Lerngruppe adressiert und aktiviert werden.

Adaptivität

Damit komplexe Aufgaben ihr begabungsaktivierendes und differenzierendes Potenzial entfalten können, müssen sie auf die individuellen Mitglieder einer Lerngruppe und deren sichtbare wie vermutete Begabungen, Interessen und Neigungen ausgerichtet sein. Die Aufgabe muss thematisch, in den Anforderungen, aber insbesondere auch hinsichtlich des zu ihr gehörenden Material- und Unterstützungsangebots so gestaltet sein, dass sie möglichst passgenau die Kompetenzen und Begabungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler adressiert und herausfordert.

Komplexe Aufgaben: Modell zur Strukturierung des Unterrichts

Initiierung der Lern- und Arbeitsprozesse

Lehrkräfte setzen die Lern- und Arbeitsprozesse bei komplexen Aufgaben in Bewegung durch ein passendes Aufgabendesign, durch Auswahl und Entwicklung geeigneter Materialien, durch Unterstützungsangebote und Moderation während der Bearbeitung. Die Dispositionen der einzelnen Schülerinnen und Schüler sind der Ausgangspunkt für die Wahl von Themen und Inhalten und für die Organisation der Lern- und Arbeitsprozesse. 

Das Modell der komplexen Kompetenzaufgabe

Die folgende Grafik visualisiert die komplexe Kompetenzaufgabe im Fach Englisch und die verschiedenen Komponenten, die in das Design einer Aufgabe Eingang finden. Das Aufgabenmodell dient dazu, einen auf Offenheit angelegten Unterricht planbar zu machen und vorzustrukturieren, sodass die Lernenden nicht mit komplexen Anforderungen allein gelassen werden. Das Modell eignet sich als Planungsraster für Lehrkräfte, die selbst eine komplexe Aufgabe entwickeln möchten. Die Vorlage dazu können Sie hier herunterladen und speichern. Mehr über die verschiedenen Komponenten des Modells sowie zur Frage, wie eine komplexe Aufgabe zu konzipieren ist, erfahren Sie im Video von Wolfgang Hallet. Ebenso einige Aufgaben-Beispiele für 7. Klassen und die Oberstufe.

»Robin Hood heute« – Beispiel einer komplexen Aufgabe im Fach Englisch

Aufgabenstellung

Im Rahmen der Bund-Länder-Initiative »Leistung macht Schule« wurden im Teilprojekt Englisch komplexe Aufgaben für den Englischunterricht erarbeitet, darunter die Aufgabe »Robin Hood heute« in einer 6. Klasse einer Gemeinschaftsschule. Die Aufgabenstellung umfasst die Bearbeitung einer Robin-Hood-Lektüre, die Kreierung einer eigenen zeitgenössischen Robin-Hood-Figur und die Darstellung als Graphic Novel. Im Folgenden sehen Sie einige Beispiele, wie die komplexe Aufgabe von Schülerinnen und Schülern umgesetzt wurde. 

Beobachtungen

Die Beispiele visualisieren gut, wie differenziert Aspekte wie Diversität, Empathie, moralisch richtiges Handeln und Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft durch »das Richtige tun« aufgegriffen werden und wie sie in Gestalt eines englischsprachigen Comics auf markante Weise Ausdruck erfahren können. Die Comics zeigen, dass die komplexe Aufgabe weit über die Förderung sprachlicher Leistungen in der Fremdsprache hinaus reicht –  sie spricht die gesamte Persönlichkeit der Lernenden an, ihre Begabungen, Kompetenzen und Interessen. 

Schülerin einer 6. Klasse einer Gemeinschaftsschule

Comic-Auswertung mit Blick auf erkennbare Kompetenzen und Begabungen

»Ginny and the lost wallet«
  • Das Beispiel zeigt eine für die 6. Klassenstufe erstaunliche kognitive und ethische Transferleistung, indem die Robin-Hood-Problematik der uneigennützigen Intervention und Hilfe in die unmittelbare Gegenwart übertragen wird. Im ICE wird sogar eine Analogie für Fortbewegung und die Reise gefunden.
  • Die zeitgenössische Robin-Hood-Geschichte weist alle Merkmale einer guten Erzählung auf, die in Erzählschritten von der einführenden Exposition (Beginn der Reise) bis zur Lösung einer schwierigen Lage (Übergabe der Geldbörse) reicht. Das ist Ausweis einer entwickelten narrativen Kompetenz.
  • Diese Kompetenz manifestiert sich im generischen Zielprodukt, einer Graphic Novel oder eines Comic. Im Design des Comics, beginnend mit dem Titel und dem Cover, zeigt sich die Fähigkeit, die Erzählung als Sequenz von Comic-Panels und eine Comic-Seite als Panel-Sequenz zu gestalten. Auf der Ebene des einzelnen Panels gehört die comic-typische Kombination von Bild und Wortsprache dazu. Das Arbeitsprodukt ist daher auch Ausweis einer spezifischen Genre-Kompetenz des Comics.
  • Im Comic wird eine eigenständige und individuelle Bildsprache in den Panel-Zeichnungen, in den gewählten Szenen und Bildausschnitten, in der comic-typischen Fokussierung auf die wesentlichen Erzählkonstituenten, im Wechsel von Innen- und Außenansichten (Abteil, Bahnsteig) sowie verschiedener Perspektiven darauf, in der Farbgebung ebenso wie in der schriftsprachlichen Gestaltung als sehr entwickelte ästhetische Kompetenz und Begabung erkennbar.
  • Die Graphic Novel ist das Ergebnis einer erheblichen Investition an Zeit und persönlichen Ressourcen, das ein hohes Maß an Motivation und Identifikation, ja Aneignung der Aufgabe im Sinne eines persönlichen Anliegens erkennen lässt, nicht zuletzt wegen der ethischen Positionierung.
  • In der Zusammenschau ist die Graphic Novel der Schülerin Ausdruck eines ganzen Bündels an Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die gerade nicht alle fremdsprachen-, also domänenspezifisch sind, sondern alle Fähigkeitsbereiche und Orientierungen einer Persönlichkeit umfassen. 

Schüler einer 6. Klasse einer Gemeinschaftsschule

Comic-Auswertung mit Blick auf erkennbare Kompetenzen und Begabungen

»Ruoxi and Nao«
  • An dem hier gewählten Comic-Ausschnitt ist besonders die sehr reduzierte, streng formatierte, aber comic-typische Darstellung von Figuren und Figurenkonstellationen bemerkenswert. Sie verrät eine sehr gute Vertrautheit mit den Erzähl- und Darstellungskonventionen des Comics und arbeitet klar strukturierte Konstellationen sowie deren Transformation heraus (vgl. das erste und das letzte Panel). 
  • Hervorhebenswert ist auch, dass die Comic-Bilder und die Erzählung ein hohes Maß an Empathie und die Thematisierung von Gefühlen zum Gegenstand haben. Beides findet Ausdruck in Wort und Bild und deren Korrespondenz (visuell: Abgewandtheit und Zugewandtheit).
  • Für eine entwickelte soziale und interaktionale Kompetenz spricht die Beobachtung, dass eine Differenz- und Aushandlungssituation Gegenstand der Erzählung ist und in den Panels entfaltet wird. Dies ist für Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse ein sehr anspruchsvolles Vorhaben.
  • Die recht prominente Position der dialogischen Anteile lässt zum einen eine sehr entwickelte sprachliche Aushandlungskompetenz erkennen, die geeignet ist, Konflikte und disagreement zu überwinden. Zum anderen ist auch die comic-typische Korrespondenz von Erzähltext und szenisch-dialogischem Text im Panel Ausweis einer comic-spezifischen Genre-Kompetenz.
  • Erstaunlich, vor allem unter dem Gesichtspunkt der comic-ästhetischen Ausdrucksform, ist die sehr konsistente, stimmige und zeichnerische Bildsprache des Comics, das einen hohen Grad an individueller ästhetischer Kompetenz und Design-Fähigkeit aufweist. Dieses Merkmal lässt sich in beinahe allen Comics in der Klasse erkennen. Es ist der Wille erkennbar, dem Arbeitsprodukt eine sehr individuelle Ausdrucksweise zu verleihen, die in der Forschung zum Projekt mit dem Merkmal der Signatur belegt wurde.
  • Prägend für den hier gezeigten Ausschnitt aus einem Comic ist die vollständige Integration sehr verschiedener Kompetenzen, Fähigkeiten und Begabungen, auch im Sinne eines ganzheitlichen Persönlichkeitsverständnisses, in einer sehr markanten, individuellen Comic-Sprache und Comic-Erzählweise. 

Schülerin einer 6. Klasse einer Gemeinschaftsschule

Comic-Auswertung mit Blick auf erkennbare Kompetenzen und Begabungen

»Loss and rescue«
  • Verlust und Rettung bilden den Rahmen für das hier erkennbare hohe Maß an erzählerischer Kohärenz. Diese korreliert mit der narrativen Kompetenz, die sich in einer strengen und linearen Entfaltung der Erzählung zeigt.
  • Das vorliegende Beispiel weist sich durch eine ausgesprochene Vertrautheit mit der Erzählsprache der Comics auf, die sich hier als strukturierte Sequenz von Panels und deren Layout auf einzelnen Seiten zeigt. Beeindruckend ist auch die klare Sequenzierung in der konsistenten Bildfolge. 
  • Bemerkenswert ist zudem in diesem Comic die Fokussierung auf die entscheidenden Erzählkonstituenten und Szenen. Deren Selektion ebenso wie die Wahl der entsprechenden situativen Ausschnitte wie visuellen Erzählstandorte (vantage points ähnlich einer Kameraperspektive) zeugen von einer ausgesprochen entwickelten Vertrautheit mit der comic-typischen Erzählweise und Bildsprache.
  • Das hohe Maß an comic-typischer Reduktivität zeigt sich auch in der klaren, recht abstrakten Gestaltung der Panels und der Beschränkung auf wenige, zudem pastellartige Farbtöne, die keinen Realismus beanspruchen. Auch an diesem Comic ist der Wille zu einer eigenen, individuellen Signatur der ästhetischen Gestaltung des eigenen Arbeitsproduktes erkennbar – erstaunlich für eine 6. Klassenstufe.
  • Für dieses Comic sind ebenfalls eine entwickelte Empathie (auch als Mitfühlen für das leidende Tier) und die soziale Fähigkeit zur Interaktion und Kooperation erkennbar. Auf diese Weise manifestieren sich im Comic Merkmale der Persönlichkeit und der ethischen Orientierung.
  • Auch in diesem Beispiel ist ein ganzes Bündel an Fähigkeiten, Kompetenzen und Begabungen erkennbar, die zudem Aufschluss über eine Persönlichkeit und deren soziale sowie ethische Orientierungen geben. 

Neue Unterrichtskultur

Unterrichtsentwicklung

Die Arbeit mit komplexen Aufgaben stellt für Schülerinnen und Schüler wie für Lehrkräfte eine wesentliche Umorientierung dar. Lehrerinnen und Lehrer müssen Abstand nehmen vom Prinzip der kontinuierlichen Steuerung aller Lern- und Arbeitsprozesse, Lernende müssen lernen, ihre Arbeit selbst zu organisieren und zu gestalten und zahlreiche eigene Entscheidungen treffen, damit sie das Aufgabenziel auf qualitätsvolle Weise erreichen. Vor allem aber müssen Lehrkräfte die komplexen Aufgaben selbst planen und entwerfen, eine Herausforderung, die durch lehrwerkbasierte Arbeit nicht unbedingt gefordert und gefördert wird. Die Entwicklung der professionellen Kompetenzen der Lehrkräfte in den Bereichen Begabungserkennung und Begabungsförderung, die Aufgaben- und Materialentwicklung sowie die Evaluation des Unterrichts sind hier zielführende Schritte.

Neue Unterrichtskultur im Team

Mit der eigenen Aufgaben- und Materialentwicklung ist einiger Aufwand verbunden. Daher ist es ratsam, in Teams zusammenzuarbeiten, in denen mehrere Kollegen und Kolleginnen gemeinsam komplexe Aufgaben für eine Klassenstufe entwickeln und erproben. Auf diese Weise kann in der eigenen Fachschaft ein Aufgaben-Pool entwickelt werden, auf den alle zugreifen können und dessen Aufgaben fast immer auf relativ einfache Weise für andere Klassenstufen oder andere Themen adaptierbar sind. Auch stellen sich Routinen der Aufgabenplanung und Aufgabenentwicklung ein, sodass dem Aufwand auch eine kollegiale Entlastung gegenübersteht. Vor allem aber ist diese Erfahrung wichtig: Die veränderte Rolle der Lehrkräfte in der aufgabenbasierten Arbeit bringt eine beträchtliche Entlastung im Unterricht selbst mit sich, weil nicht im Minutentakt Impulse und Reaktionen erforderlich sind. Vielmehr sind ein kontinuierliches Monitoring und planvolle, gezielte Interventionen erforderlich, die an die Aufgabenstellung und deren eigenständige Bearbeitung durch die Lernenden gebunden und auf die qualitätsvolle Erreichung des Aufgabenziels gerichtet sind.

Ausblick 

Die Erkennung und Entwicklung von Potenzialen muss sich an die gesamte heterogene Lerngruppe richten. Eine nachhaltige Wirksamkeit von Talentförderung ist jedoch nur möglich, wenn sie darüber hinaus begleitet wird von der Entwicklung einer Gesamtstrategie und eines Schul-Leitbildes, das Begabungsförderung als schulübergreifendes Projekt mit Austausch- und Kooperationsmöglichkeiten versteht. Wie kann Talentförderung Aufgabe der gesamten Schule und Motor für Schulentwicklung werden? Darüber informieren wir Sie im Herbst 2025 in einem weiteren Beitrag zum Thema.

Hintergrundwissen zur Nutzung komplexer Aufgaben

Ganzheitlicher, persönlichkeitsorientierter Begabungs- und Kompetenzbegriff

Der Typus der komplexen Aufgabe leitet sich aus einem offenen und persönlichkeitsorientierten Begabungs- sowie Kompetenzbegriff ab. Unter Begabungen werden neben leistungsbezogenen Potenzialen auch fachliche und fachübergreifende Begabungen, Potenziale und Stärken verstanden sowie Persönlichkeitsmerkmale wie Interessen, Neigungen, Ehrgeiz und Ausdauer. Ein komplexer und dynamischer Kompetenzbegriff meint ein Bündel von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, die zur Bewältigung von herausfordernden lebensweltlichen Situationen, zur erfolgreichen Problemlösung und zur wirksamen Teilhabe an kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen erforderlich sind. Voraussetzung für didaktische Konzepte der Begabungsförderung im Fach.

Zusammenhang von Begabungs- und Kompetenzentwicklung

Kompetenzentwicklung und Begabungsentwicklung werden als aufbauender Prozess verstanden. Die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen im Fach ermöglicht nicht nur die Begabungsdiagnose und -evaluation. Durch die Entwicklung von Kompetenzen im Unterricht werden Begabungen weiterentwickelt und in einem spiralförmigen Prozess auf eine höhere Stufe gehoben. Nachfolgende kompetenzorientierte Aufgaben treffen auf eine weiterentwickelte, höhere Form der Begabung und werden von dort aus wiederum weiterentwickelt. An jede Höherbewegung der Spirale schließen sich weitere Spiralabschnitte auf höherer Ebene an.

Integriertes Modell der Begabungs- und Kompetenzentwicklung

Da die Kompetenzentwicklung die Grundlage für die Weiterentwicklung von Begabungen darstellt, sind Begabungsförderung und Kompetenzentwicklung immer zusammenzudenken. Weiterführende Informationen zum transformativen Modell der Begabungs- und Leistungsentwicklung (TMBL) mit den entsprechenden Komponenten der komplexen Aufgabe finden Sie im Blog von Wolfgang Hallet im nachfolgenden Abschnitt »Zum Weiterlesen«.

Begabungsentwicklung im Fach

  • Der diagnostische Blick richtet sich auf alle Schülerinnen und Schüler als individuelle lernende Persönlichkeiten und lebensweltliche Akteurinnen und Akteure.
  • Der Unterricht beruht auf dem Erkennen von Stärken, Potenzialen, Interessen und Fähigkeiten sowohl fachlicher (domänenspezifischer) Art als auch ganzheitlicher, persönlichkeitsbezogener Art.
  • Unterrichtgestaltung berücksichtigt, dass sowohl bei den Individuen als auch bei der Lerngruppe Stärken und Begabungen in mehreren Bereichen auftreten können.

Fachunterricht versteht sich als

  • Entfaltungsraum für Potenziale und verfügbare Fähigkeiten,
  • Raum für die fachspezifische Weiterentwicklung und Ausformung von Begabungen, Kompetenzen und Fähigkeiten,
  • Raum für soziale Interaktion und Persönlichkeitsentwicklung.

Zum Weiterlesen

Hinweis: Bücher, die mit »Open Access« gekennzeichnet sind, können beim Verlag wbv bzw. beim Beltz-Verlag kostenfrei heruntergeladen werden.


Hallet, Wolfgang & Schäfer, Jan Simon: Die Bedeutung der Kompetenzentwicklung im Fach für die Erkennung und Förderung von Begabungen. In: Weigand, G., Fischer, C., Käpnick, F., Perleth, C., Preckel, F., Vock, M. & Wollersheim, H.-W. (Hrsg.): Wege der Begabungsförderung in Schule und Unterricht. Transformative Impulse aus Wissenschaft und Praxis. Leistung macht Schule, Band 3. Bielefeld: wbv, 2024. S. 297-314. [Open Access]

Hallet, Wolfgang & Schäfer, Jan Simon: Diversitätssensibles Lernen mit komplexen Aufgaben im Englischunterricht der Sekundarstufe. In: Weigand, G., Fischer, C., Käpnick, F., Perleth, C., Preckel, F., Vock, M. & Wollersheim, H.-W. (Hrsg.): Leistung macht Schule. Förderung leistungsstarker und besonders leistungsfähiger Schülerinnen und SchülerWeinheim: Beltz, 2020. S. 183-194. [Open Access]

Hallet, Wolfgang: Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze: Klett Kallmeyer, 2011. Darin: Kap. 5, S. 143-176.


Aufhagen, Wiebke & Benölken, Ralf: Substanziell anspruchsvolle und offene mathematische Problemfelder als Baustein von Begabten- und Begabungsförderung. Ein produktives Format für gemeinsame Entwicklungen von Schulpraxis und Wissenschaft. In: Weigand, G., Fischer, C., Käpnick, F., Perleth, C., Preckel, F., Vock, M. & Wollersheim, H.-W. (Hrsg.): Dimensionen der Begabungs- und Begabtenförderung in der Schule. Bielefeld: wbv, 2022. S. 265-278. [Open Access]

Böwing, Corinna & Hallet, Wolfgang: Aufgabenbasierter Bilingualer Fachunterricht. In: CLIL Tasks. Aufgabenbasierter Bilingualer Unterricht. Der fremdsprachliche Unterricht. Englisch, 51 (2017), 148. S. 2-7 und 9.

Böwing, Corinna & Hallet, Wolfgang (Hrsg.): CLIL Tasks. Aufgabenbasierter Bilingualer Unterricht. Der fremdsprachliche Unterricht. Englisch, 51 (2017), 148. [Themenheft] 

Fischer, C., Fischer-Ontrup, C., Hallet, W., Käpnick, F., Perleth, C. & Weigand, G.: Das transformative Modell der Begabungs- und Leistungsentwicklung (TMBL). In: Weigand, G., Fischer, C., Käpnick, F., Perleth, C., Preckel, F., Vock, M. & Wollersheim, H.-W. (Hrsg.): Wege der Begabungsförderung in Schulen – Transformative Impulse aus Wissenschaft und Praxis. Bielefeld: wbv, 2024. S. 317-343. [Open Access]

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