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»Begabungsförderung in der inklusiven Schule«

Ein Kommentar des Referats 53 »Inklusion im Bildungswesen, Förderschulen« im Niedersächsischen Kultusministerium

»Die öffentlichen Schulen ermöglichen allen Schülerinnen und Schülern einen
barrierefreien und gleichberechtigten Zugang und sind damit inklusive Schulen.«


Mit dieser Aussage schafft das Niedersächsische Schulgesetz in §4 weit mehr als die Grundlage für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen die inklusive Schule nicht nur als den Ort verstehen, der Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Die inklusive Schule ist die Schule für alle. Sie ist die Schule, deren Ziel die individuelle Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers ist.

Lerngruppen in Schulen sind in der Regel heterogen zusammengesetzt. Diese Heterogenität begreifen und akzeptieren wir als Grundlage schulischer Arbeit. Wir streben nicht an, dauerhaft homogene Gruppen zu schaffen. Schulisch induzierte Lernprozesse werden so angelegt, dass sie der heterogenen Schülerschaft gerecht werden. Dies geschieht durch eine am Individuum ausgerichtete Planung. Individuelle Förderung ist kein Additivum, sondern integraler Bestandteil jeder Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung.

Individuelle Förderung ist auch nicht den Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf vorbehalten. Vielmehr haben alle Schülerinnen und Schüler Lern- und Entwicklungspotenziale. Um diese optimal zu entfalten, bedarf es in jedem Fall pädagogischer Unterstützung. Somit hat jede Schülerin und jeder Schüler einen pädagogischen Unterstützungsbedarf. Der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf stellt dabei eine spezifische Ausprägung des pädagogischen Unterstützungsbedarfs unter anderen dar. Ein pädagogischer Unterstützungsbedarf kann zum Beispiel auch durch geringe Sprachkenntnisse bedingt sein oder durch besondere Begabungen. Es ist der Auftrag der inklusiven Schule, allen diesen Bedarfen gerecht zu werden.

Deshalb war es folgerichtig, mit der Einrichtung eines Referats für Inklusion im Bildungswesen im Niedersächsischen Kultusministerium diesem auch die Begabungsförderung zuzuordnen. Ebenso bildet die Begabungsförderung einen integralen Bestandteil des gesamten Rahmenkonzepts für die Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen.

Dabei ist das niedersächsische Modell der Begabungsförderung in Schulverbünden, den Kooperationsverbünden »Förderung besonderer Begabungen«, seit seinen Anfängen vor mehr als 10 Jahren ein inklusives Modell. Besonders begabte Schülerinnen und Schüler lernen gemeinsam mit ihren Altersgenossinnen und Altersgenossen. Durch Enrichment-Angebote, die regelmäßig in den Kooperationsverbünden vorgehalten werden, stehen ihnen zusätzliche Lernimpulse zur Verfügung. Vielerorts wurden erfolgreich Drehtürmodelle installiert. Die Teilnahme an einem Frühstudium wird durch die Schulen begleitet.

Wir ermuntern begabte Schülerinnen und Schüler, sich auch an den Leistungsanforderungen höherer Jahrgänge zu erproben. Dazu halten wir insbesondere den Weg der fachspezifischen Akzeleration (Teilnahme am Unterricht höherer Klassenstufen in einzelnen Fächern) für geeignet. Die Schülerinnen und Schüler können dabei anspruchsvoll lernen und gleichzeitig den Kontakt zu Altersgleichen erhalten. Sie übernehmen Verantwortung für das eigene Lernen, indem sie den im eigenen Jahrgang versäumten Unterrichtsstoff selbstständig erarbeiten. Insgesamt dürfen wir beobachten, dass bei einem passgenau individualisierten Unterricht die Wünsche nach Akzeleration zurückgehen.

Auch in der Ressourcenzuweisung gehen wir in den Kooperationsverbünden seit vielen Jahren Wege, die aktuell im Zusammenhang mit der Einführung der inklusiven Schule diskutiert werden. Die zusätzlichen Lehrerstunden, die die Verbünde erhalten, werden als systemische Ressource, also nicht im Sinne von Einzelzuweisungen, vergeben. Der Verbund erhält ein Stundenkontingent, über dessen Verwendung die zugehörigen Schulen gemeinsam entscheiden. So können wechselnde Schwerpunktsetzungen der beteiligten Schulen flexibel unterstützt werden. Durch die gemeinsame Verantwortung werden die Schulen darin bestärkt, ihre Angebote aufeinander abzustimmen und ihr gemeinsam erstelltes Konzept weiterzuentwickeln. In einem jährlichen Controlling-Verfahren wird der Einsatz der Stunden im Verbund erhoben und evaluiert. In ihrer Arbeit werden die Kooperationsverbünde bedarfsgerecht durch multiprofessionelle Beratungsteams und Fortbildungsangebote unterstützt.