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Interview

Informationen zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in Hessen

Headerbild für das LänderSPECIAL Hessen. Ein Pfeil zeigt auf das farblich hervorgehobene Bundesland Hessen. Dieses ist zusätzlich durch einen Kartenmarker gekennzeichnet.

Zu Anja Schöpe

Anja Schöpe ist Referatsleiterin im Referat »Qualitätsentwicklung, Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler« im Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen in Wiesbaden.

Frau Schöpe, wie würden Sie die Philosophie der Begabtenförderung von Kindern und Jugendlichen in Hessen beschreiben?

In Hessen verstehen wir die Begabtenförderung als Element der Kernaufgabe jeder Schule, ihre Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. Unser Ziel ist es, die persönlichen Potenziale aller Kinder und Jugendlichen zu erkennen und optimal zu entfalten – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder sozialen Hintergrund. Begabungsförderung bedeutet dabei, allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, während sich die Begabtenförderung gezielt auf diejenigen konzentriert, die besondere Leistungsstärken und Potenziale mitbringen. Unsere Strategie berücksichtigt dabei neben der kognitiven auch die soziale und emotionale Entwicklung und zielt darauf ab, junge Menschen in ihrer Persönlichkeit umfassend zu stärken und sie zu gesellschaftlicher Verantwortung zu befähigen.

Was sind Besonderheiten der schulischen Begabungs- und Begabtenförderung in Hessen? Wie ist sie allgemein aufgestellt und organisiert?

Die schulische Begabungs- und Begabtenförderung in Hessen zeichnet sich vor allem durch ihren systemischen und nachhaltig angelegten Ansatz aus. Wir verstehen sie nicht als Zusatzaufgabe, sondern als festen Bestandteil der individuellen Förderung. Dabei steht die Unterstützung unserer Schulen im Fokus. Deshalb haben wir das Hessische Innovations- und Beratungsnetzwerk für Begabungsförderung (HIBB) landesweit etabliert, in dem wir unsere Schulen in unserem Auftrag unterstützen und ihre Arbeit systemisch miteinander verzahnen sowie Eltern und Schülerinnen und Schüler bei Bedarf beraten. 

Herzstück dieses Netzwerks sind die regionalen Schulnetzwerke sowie HIBB-Regionaltandems. In jedem Schulamtsbezirk arbeiten eine speziell qualifizierte Lehrkraft und eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe als Tandem zusammen. Sie leiten und koordinieren die regionalen Schulnetzwerke, in denen Schulen Erfahrungen austauschen, sich fortbilden und gemeinsam an Konzepten arbeiten. Zudem beraten sie Schulen in Einzelfällen und unterstützen sie in ihren Entwicklungsprozessen. Auch unterstützen sie Lehrkräfte und Schulen bei der Information und Beratung von Eltern und Schülerinnen und Schülern. 

Eine weitere tragende Säule ist die begabungsdiagnostische Beratungsstelle BRAIN an der Philipps-Universität Marburg. Sie steht Lehrkräften, Eltern und Fachkräften mit fachlich fundierter Beratung und bei Bedarf mit psychologischer Diagnostik zur Seite.

Auch die Fortbildung und Qualifizierung von Lehrkräften spielt im HIBB eine zentrale Rolle: Mit Formaten wie der HIBB-Akademie, dem HIBB-Fachtag und dem HIBB-Symposium bieten wir ein umfassendes Fortbildungsangebot, stellen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung und fördern den Austausch zwischen Schulen, Bildungsverwaltung und Wissenschaft. Im Rahmen der Transferphase der Bund-Länder-Initiative »Leistung macht Schule« (LemaS) hat Hessen außerdem das mehrjährige Projekt »Evoc Hessen« in Kooperation mit dem evoc-Weiterbildungsinstitut ins Leben gerufen. Dieses bietet einer deutlich dreistelligen Anzahl von Schulen die Möglichkeit, sich intensiv im Bereich der Begabungs- und Begabtenförderung zu qualifizieren.

Außerdem setzt Hessen auf innovative Enrichment-Angebote wie die Digitale Drehtür, eine länderübergreifende Bildungsinitiative, die unter der Perspektive der Begabungsentfaltung aller Schülerinnen und Schüler auch die Förderung hoher Leistungspotenziale besonders in den Blick nimmt.

Und nicht zuletzt nimmt die Internatsschule Schloss Hansenberg im HIBB eine wichtige Rolle ein: Sie stellt anderen Schulen Konzepte und Impulse zur Verfügung und bietet Hospitationsmöglichkeiten zur Schul- und Unterrichtsentwicklung an.

Unser Ziel ist es, dass Begabungs- und Begabtenförderung keine Ausnahme bleibt, sondern zur Selbstverständlichkeit an allen Schulen wird – als Teil einer vielfältigen und gerechten Bildungskultur.

In welchem Zusammenhang sehen Sie schulische und außerschulische Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler?

Schulische und außerschulische Förderung sind komplementär und ergänzen sich idealerweise. Der Regelunterricht bietet mit gezielter Binnendifferenzierung und schulischen Angeboten wie Arbeitsgemeinschaften zahlreiche Möglichkeiten, individuell auf begabte Schülerinnen und Schüler einzugehen. Auch das Überspringen einer Klasse (Akzeleration) kann als Maßnahme genutzt werden, um einzelnen Schülerinnen und Schülern einen optimalen Lernweg zu ermöglichen.  

Die außerschulische Förderung, beispielsweise durch Schülerakademien, Hochschulprogramme oder Wettbewerbe, erweitert diesen Rahmen entscheidend. Sie ermöglicht Schülerinnen und Schülern, eigene Interessen zu vertiefen, Erfahrungen in wissenschaftlichem Arbeiten zu sammeln und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Optimal ist es, wenn schulische und außerschulische Förderangebote eng miteinander verzahnt sind und so eine ganzheitliche Förderung ermöglicht wird.

Wo können betroffene Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte Beratung erhalten? Welche Unterstützung gibt es speziell für das Lehrpersonal und für Schulleitungen?

Die erste Anlaufstelle für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern sind die Schulen selbst. Zusätzlich gibt es in jedem Staatlichen Schulamt spezielle HIBB-Regionaltandems, bestehend aus einer erfahrenen Lehrkraft und einer Schulpsychologin oder einem Schulpsychologen, die beratend zur Seite stehen. Die begabungsdiagnostische Beratungsstelle BRAIN an der Philipps-Universität Marburg ergänzt dieses Angebot durch professionelle Diagnostik und intensive Beratung bei Fragen zur Hochbegabung. Für Lehrkräfte und Schulleitungen bietet das HIBB zudem regelmäßige Fortbildungen, Fachtage und Symposien an, um eine professionelle Qualifizierung und Vernetzung zu gewährleisten.

Wie wird sich die Begabtenförderung voraussichtlich entwickeln? Welche Schritte sind in diesem Bereich angedacht?

Die Begabtenförderung entwickelt sich kontinuierlich weiter und bleibt ein zentraler Bestandteil unserer Bildungsstrategie. Wesentliche zukünftige Schritte umfassen den Ausbau des HIBB-Netzwerks, insbesondere durch die Einführung sogenannter HIBB-Impulsschulen, die ihre erfolgreichen Konzepte landesweit teilen. Geplant ist auch eine digitale Plattform, auf der bewährte Materialien und Konzepte der LemaS-Initiative allen Schulen zur Verfügung stehen. Die Vision ist, die individuelle Förderung begabter Schülerinnen und Schüler zu einer Selbstverständlichkeit an allen Schulen werden zu lassen.

Herzlichen Dank, Frau Schöpe.